ETFs: Einfach, effizient – und sicher? Eine nüchterne Betrachtung für Anlegerinnen und Anleger
ETF ist eines dieser Kürzel, die Finanzmärkte scheinbar entmystifizieren. Exchange Traded Funds verheissen breite Streuung zum geringen Preis, tägliche Handelbarkeit und verlässliche Abbildung eines Index – kurz: Marktrendite ohne den Umweg über teure Manager. Kein Wunder, dass das verwaltete Vermögen in börsengehandelten Indexfonds seit Jahren rasant wächst und ETFs heute zum Standardrepertoire privater wie institutioneller Portfolios gehören. Doch sobald die Frage nach der «Sicherheit» gestellt wird, lohnt sich eine differenzierte Antwort. Denn risikolos ist ein ETF ebenso wenig wie das Wertpapier, das ihm zugrunde liegt. Es gibt mehrere Ebenen, auf denen Sicherheit verstanden – und missverstanden – wird: die strukturelle Konstruktion des Produkts, die regulatorischen Schutzmechanismen, die Marktmechanik in ruhigen wie in stürmischen Zeiten, und schliesslich die inhaltliche Frage, welchen Index ein ETF überhaupt abbildet. Zunächst zur Funktionsweise. Ein ETF ist rechtlich gesehen ein Fondsvehikel, dessen Aufgabe es ist, einen Referenzindex so genau wie möglich zu spiegeln. Die gängigste Methode ist die physische Replikation: Der Fonds kauft die im Index enthaltenen Titel proportional zu deren Gewichtung. Bei grossen, breit gestreuten Indizes geschieht das häufig über «Sampling», also eine repräsentative Auswahl, um Handelsspesen und Rebalancing-Kosten niedrig zu halten. Daneben existiert die synthetische Replikation mittels Swaps, bei der der Fonds die Indexrendite von einer Gegenpartei bezieht und dafür die Rendite eines eigenen, meist konservativen Wertpapierkorbs abgibt. Beide Wege können den Index präzise abbilden; beide haben eigene Risikoprofile. Physisch replizierende Fonds sind intuitiver, unterliegen aber Praktiken wie Wertpapierleihe, die Erträge steigert, aber auch Kontrahentenrisiken erzeugt. Synthetische ETFs sind effizient in schwer zugänglichen Märkten, tragen jedoch ein abgesichertes, aber reales Swap-Gegenparteirisiko. In Europa begrenzen UCITS-Regeln diese Risiken streng, verlangen Collateral und Diversifikation; die Details stehen im KIID und im Prospekt – Dokumente, die man nicht ungelesen abnicken sollte. Die zweite Sicherheitsebene betrifft die rechtliche Hülle. UCITS-konforme ETFs sind Sondervermögen. Das bedeutet, die Fondsvermögen werden getrennt von der Bilanz der Fondsgesellschaft und der Verwahrstelle gehalten. Geht der Anbieter in die Insolvenz, fällt das Sondervermögen nicht in die Konkursmasse. Das ist ein wesentlicher Schutzmechanismus, der ETFs von Schuldverschreibungen wie ETNs oder Rohstoffzertifikaten unterscheidet. Zugleich ist «Sondervermögen» kein Allheilmittel gegen Marktrisiko: Ein ETF auf einen volatilen Sektor bleibt marktrisikoanfällig, auch wenn die juristische Verpackung solide ist. Sicherheit auf Produktebene ist nicht Sicherheit der zugrunde liegenden Anlageklasse. Ein dritter, oft unterschätzter Aspekt ist die Marktmechanik. ETFs haben einen Primär- und einen Sekundärmarkt. Privatanleger handeln Anteile wie Aktien an der Börse; der Preis ergibt sich aus Angebot und Nachfrage. Damit dieser Preis nicht weit vom inneren Wert, dem Net Asset Value, abweicht, agieren sogenannte Authorised Participants (APs). Sie schaffen im Primärmarkt neue Anteile («Creation») oder lösen sie ein («Redemption»), indem sie den zugrunde liegenden Wertpapierkorb gegen ETF-Anteile tauschen. Dieser Arbitrage-Mechanismus hält Abschläge und Aufschläge in normalen Zeiten eng. In Stressphasen kann die Friktion jedoch zunehmen, insbesondere bei illiquiden Märkten wie Unternehmensanleihen oder Nischenaktien. Dann weiten sich Spreads, und ETFs handeln zeitweise mit Prämien oder Discounts. Das ist kein Konstruktionsfehler, sondern ein Preissignal: Der ETF reflektiert in Echtzeit die impliziten Transaktionskosten der Unterliegenden. Wer in solchen Phasen verkauft, bezahlt Liquidität – wie in jedem Markt. Für langfristige Anleger ist das verkraftbar; für kurzfristige Trader kann es teuer werden. Die Frage nach der Sicherheit führt unweigerlich zum Index. Ein ETF ist nur so «sicher» wie das, was er abbildet. Ein globaler, marktkapitalisierungsgewichteter Aktienindex streut über Länder, Sektoren und tausende Titel – die Wahrscheinlichkeit eines Totalausfalls ist gering, aber Kursverluste von 30 oder 40 Prozent in einer Rezession sind keineswegs ausgeschlossen. Ein ETF auf einen engen Themenkorb – etwa Wasserstoff, Raumfahrt oder «Disruptive Innovation» – bietet dagegen Story, nicht Stabilität. Auch in Anleihemärkten gilt die Differenzierung: Staatsanleihen hoher Bonität verhalten sich anders als High-Yield-Anleihen; Laufzeit- und Kreditrisiko überlagern sich. Ein ETF nimmt die systematischen Risiken des Zielmarktes effizient auf – er eliminiert sie nicht. Wer «sicher» hauptsächlich im Sinne geringer Schwankungen versteht, muss Anlageklasse, Duration, Währung und Konzentration prüfen – nicht nur die TER im Datenblatt. Das bringt uns zu den Kosten und zur Abbildungsqualität. ETFs sind günstig, aber nicht gratis. Neben der Total Expense Ratio fallen implizite Kosten an: Geld-/Brief-Spreads, Börsengebühren, die Erträge aus Wertpapierleihe (die dem Fonds zugutekommen, aber zwischen Anbieter und Anleger verteilt werden) sowie der sogenannte Tracking Difference, also die reale Abweichung von der Indexrendite nach Kosten, Steuern und Rebalancing. Gerade die steuerliche Behandlung, etwa Quellensteuern auf Dividenden und deren Anrechenbarkeit, ist abhängig von Fondsdomicil und Doppelbesteuerungsabkommen. Viele in der Schweiz vertriebene ETFs sind irisch domiziliert, weil das bei US-Dividenden vorteilhaft sein kann; Luxemburg ist ebenfalls verbreitet. Ob ein Fonds ausschüttet oder thesauriert, beeinflusst Liquiditätsströme und Steuerzeitpunkte, nicht aber die ökonomische Rendite. Wer Professionalität sucht, schaut deshalb nicht nur auf die TER, sondern auf die historisch erzielte Tracking Difference und die Stabilität des Replikationsprozesses über verschiedene Marktregime. Ein weiterer sicherheitsrelevanter Punkt ist die Anbieterqualität. Die grossen Häuser betreiben ausgereifte Prozesse für Indexmanagement, Collateral, Corporate Actions und Stimmrechtsausübung. Letztere gewinnt an Bedeutung: Passives Kapital ist keineswegs stumm, es stimmt über Vergütungen, Klimaberichte oder Übernahmen mit ab. Für Anlegerinnen und Anleger, denen Governance wichtig ist, lohnt der Blick in die Stewardship-Reports. In Nischenmärkten trifft man bisweilen auf ETFs mit überschaubarem Volumen, weiten Spreads und fragiler Replikation. Klein ist nicht automatisch schlecht, aber es erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sich in Stresslagen die gewünschte Handelbarkeit verteuert. Liquidität ist kein statisches Merkmal eines Tickers, sondern entsteht aus der Liquidität der Basiswerte und der Präsenz der APs. Synthetische Replikation verdient eine besondere Einordnung. Der Tausch von Portfolioerträgen gegen Indexrendite ist mit Collateral hinterlegt, typischerweise in Form von liquiden Wertpapieren, die täglich bewertet und nachbesichert werden. UCITS limitiert das Exposure gegenüber einer Gegenpartei, häufig auf 10 Prozent des Fondsvermögens; in der Praxis halten seriöse Anbieter die effektive Nettorisikoposition deutlich darunter. Das Restrisiko ist nicht null, aber kalkulierbar – und es steht einem Vorteil gegenüber: In Märkten mit Kapitalverkehrsbeschränkungen, Quoten oder illiquider Preisbildung (einige Schwellenländer, Rohstoffindizes) kann die synthetische Route eine sauberere Indexabbildung ermöglichen als die physische. Sicherheit entsteht also nicht aus dem Schlagwort «physisch», sondern aus der Qualität von Struktur, Sicherheitenmanagement und Anbieter. Bleibt die Praxisfrage: Sind ETFs «sicher»? Im regulatorischen Sinn ja, sofern es sich um UCITS-konforme Produkte handelt, die als Sondervermögen geführt werden und transparent berichten. Im marktwirtschaftlichen Sinn nein, wenn Sicherheit mit Kapitalgarantie verwechselt wird. ETFs sind Werkzeuge, die Risiko effizient verpacken. Ihre besondere Stärke liegt in Kostenkontrolle, Transparenz und Skalierbarkeit. Ihre Schwächen zeigen sich dort, wo Anleger die Bequemlichkeit des Etiketts mit der Substanz des Inhalts verwechseln: Ein enger, storygetriebener Themenindex bleibt zyklisch; ein illiquider Anleihenmarkt bleibt in Stressphasen träge; ein Währungsrisiko bleibt ein Währungsrisiko, auch wenn es in einem globalen ETF steckt. Wer ETFs als Bausteine einer Vermögensstrategie nutzt, sollte deshalb drei Fragen beantworten. Erstens: Welches Risiko will ich tragen – und welches nicht? Die Wahl des Index ist die wichtigste Sicherheitsentscheidung. Zweitens: Welche Struktur und welcher Anbieter setzen dieses Risiko zuverlässig um? Hier helfen KIID, Replikationsmethode, Tracking-Differenz, Fondsvolumen und Handelsspannen. Drittens: Wie verhalte ich mich in Stressphasen? Wer langfristig anlegt, sollte die Mechanik von Spreads und Discounts kennen und nicht ausgerechnet dann liquidieren, wenn Liquidität am teuersten ist. In dieser Disziplin besteht die eigentliche Sicherheit des ETF-Investierens: nicht in der Illusion eines risikolosen Produkts, sondern in der informierten, disziplinierten Nutzung eines sehr effizienten Werkzeugs.